Zwei Mitglieder des Marburger Bycicle-Clubs unternahmen vor Kurzem eine interessante Bycicle-Tour, welche sich durch die Alpen, durch Ober-Italien, das Görzische, durch ganz Krain und zurück nach Marburg erstreckte. Wir erhalten über die, in dem Zeitraum von nur 10 Tagen ausgeführte Rundfahrt, die eine Fülle prächtiger Momente bot, von einem der Theilnehmer folgende Beschreibung.
„Wir fuhren am 26. August 1886 vorerst mittels Bahn bis Bruck, um von dort auS unsere Tour zu beginnen. Wir verließen Marburg in strömendem Regen, der bis oberhalb Graz andauerte, um in Bruck auf schönes Wetter und trockene Straßen zu stoßen. Wir langten in Bruck um ½ Uhr an und setzten unsere Reise an diesem Tage bis Knittelfeld fort. Von Knittelfeld gieng es am 27. nach Villach, wo wir übernachteten. Am 28. Vormittags gelangten wir bis Tarvis. Nachmittags gieng es über Ponteba bis zur Nachtstation Chiusaforte. Am 29. gelangten wir nach Udine, wo gerade mit großartigen Festlichkeiten die Enthüllung des Garibaldi-Monumentes stattfand, weshalb wir den ganzen Tag verweilten und erst am folgenden Morgen unsere Reise nach Venedig fortsetzten. Nach einer Fahrt von 150 Kilometern mit stets gerader vorzüglicher Chaussée erreichten wir ½ 5 Uhr Nachmittags Mestre, wo wir unsere Maschinen deponirten und sofort rnittels Bahn der bella Venezia zustrebten. Dieser Abend wie der folgende Tag wurden ganz der, nunmehr so sehr in Mißkredit gekommenen Schönen an der Adria gewidmet und erst am 1. September traten wir unsere Rückreise an. Nach der kurzen Bahnfahrt bis Mestre starteten wir um 5 Uhr Früh und fuhren nunmehr durch die Tiefebene Veneziens über St.Donà, Porto Gruaro, Latisana, San Giorgio di Nogaro bis Palmanova, der italienischen Grenzfestung, an der Straße nach Görz. In Palma wurde übernachtet und da erfuhren wir, daß wir am nächsten Tage erst um 11 Uhr durch die Grenze könnten, da nur von 11 bis 12 Uhr die ärztliche Visite daselbst statthat. Dieser Umstand wurde für uns die Ursache eines kleinen Abenteuers am Morgen des 2. Septembers. Um nemlich die Zeit bis zur Abfahrt todzuschlagen, spazierten wir, ohne von einem diesbezüglichenVerbote etwas zu ahnen, aus den verlassenen, nur von italienischen Remonten zum Abweiden benutzten Festungswällen umher und genossen die Herrliche Aussicht auf die gegen Norden sich zeigenden stolzen heimatlichen Berge. Im Genusse des herr herrlichen herrlichen Anblickes wurden wir plötzlich von zwei berittenen Gendarmen unterbrochen, welche herangesprengt kamen und unsere Papiere verlangten. Zum Glücke hatten wir solche bei uns. Dennoch aber kamen wir erst nach langem Verhör von Seiten des Kommissärs, bei dem unsere Wirthsleute vermittelten, wackere Kärntner, die schon seit 32 Jahren in Palma seßhaft sind, — los und erst nach vollständigster Legitimation gab man sich zufrieden. Schließlich ent entschuldigte sich der Kommissär, indem er herausrückte, wir seien bei ihm durch eine dritte Person als Spione angezeigt worden, die unter falschem Namen reisen. Mit gemischten Gefühlen über solche, etwas lächerliche Spionriecherei traten wir endlich um ½ 11 Uhr unsere Fahrt nach Görz an, wo wir gegen 2 Uhr anlangten, nachdem man uns an der Grenze sehr gnädig behandelt und uns die Visitation unseres schmalen Gepäckes geschenkt hatte. In Görz ver verbrachten wir den Nachmittag und Abend; den letzteren im Kreise des Görzer Bycicle-Klub, von welchem uns zwei Mitglieder am folgenden Morgen eine Strecke Weges das Geleite gaben. Wir fuhren über Heidenschaft, Mippach, Präwald, Adelsberg bis Loič, wo wir am dritten übernachteten. Den folgenden Tag gieng es über Laibach und Cilli bis Gonobitz, wo wir die letzte Nacht unserer Tour verbrachten. Um folgenden Morgen fuhren wir zunächst nach Windisch-Feistritz, wo wir nach wohlthuendem Bade in Mittag speisten und um 2 Uhr Nachmittags zunächst nach Pulsgau fuhren, bis wohin uns infolge unserer Anmeldung mehrere Mitglieder unseres Klubs entgegenkamen, mit denen wir den Nachmittag fröhlich in Schleinitz verbrachten, um gegen den Abend des5. d.M. nach zehntägiger Abwesenheit wieder in Marburg einzutreffen. Wir hatten die ganze Zeit hindurch wunder wundervolles Wetter und fast durchgehends sehr gute Straßen. Freilich hatten wir auch, wie wir aus dem Munde der Venetianer selbst hörten, die heißesten Tage des Jahres. So badeten wir z. B. am Lido Vormittags um 9 Uhr bei einer Wassertemperatur des Meeres von 25 Grad, welche Nachmittags auf 31 Grad stieg. Dies ein Abriß unserer Tour, deren Annehmlichkeiten, deren Ueberfülle von herrlichen, manigfaltigen Eindrücken, wie sie eine Bahnfahrt niemals zu bieten vermag, jeder Beschreibung spotten.
Marburger Zeitung, 19. September 1886
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