Papier, Temperatur und Zeit lassen Dein gedenken, liebe Kriegs-Zeitung. Höre der Offensive zweiten Teil. Den 29. Oktober gelangten wir ins Land der Phäaken. Ein prächtiger Herbsttag, auf schöner Straße ein schönes Marschieren. In lange Kolonnen eingereiht die Kompanie. Geflüchtetes Zivil kehrt zurück, hochbepackte Buckelkörbe, Kühe werden dahergetrieben, allerlei Hausrat baumelt von den Schultern und, merkwürdig, fast alle tragen Chiantiflaschen in den Händen. Eine Frau hielt ich an: „Quanto costa?" „Oh, prego Signor, niente, niente!" Und die Flasche liegt in meinen Armen. Aber nein, das geht nicht. Die Leute schenken wohl bloß aus Angst. Einen Zweikronenschein drücke ich der Alten in die Hand und glückstrahlend geht sie davon. Und hat innerlich wahrscheinlich über die dummen Österreicher gelacht. Denn wir erfuhren bald, daß all dieser Wein von den Zivilisten in Raccolana aus den Militärmagazinen gestohlen war. Überall war es das Zivil, das nach Abzug des eigenen Militärs in die Häuser eindrang und plünderte und stahl, was ihnen zweckdienlich schien.
Vorne schwere Sprengschläge. Was ist das? Schießt noch die Artillerie? O nein, der Feind ist weit. Unweit Raccolana schwelt noch ein riesiges Munitionsmagazin. Ab und zu krepiert noch ein Geschoß in der Glut, schleudert seine Nachbarn weit umher. Ganz friedlich liegen kleine Feldgranaten und einige 28er wie träge, dickbäuchige Vorweltungeheuer überall umher und lauern.
In breitem, reißendem Strom rauscht vor uns die Fella. Die Straßenbrücke ist gesprengt. Wie kommt man da hinüber? Oh, nichts leichter. Ein bißchen weiter oben ist die mächtige eiserne Eisenbahnbrücke vollkommen gebrauchsfähig. Wohl sind die Sprengladungen am Platz, die Zündschnüre mit Kapseln versehen, bereit zum Anzünden, aber die Brücke steht. Warum ist sie nicht gesprengt worden? Rätselhast. Unglaublich wären die Schwierigkeiten gewesen, die Fella zu überwinden. So zogen wir gemütlich am Nachmittag in Chiusaforte ein, dessen Fort sich kampflos ergeben hatte.
Da war das Land der Phäaken! Was essen wir wohl zu Abend? Ei, hier ist eine Fleischbank, da holen wir uns Fleisch. Dort ist ein Krämerladen, da gibt es Fett, Butter, Salz. Was ist noch erwünscht? Kartoffeln? Bitte, hier, nur nicht sparen.
Eier vielleicht? Natürlich sind genug da. Wem Kaffee angenehm wäre? Aber es ist etwas mühsam. Man muß den ausgeschütteten Reis beiseite kehren, damit nicht zu viel unter den Bergschuhen zugrunde geht. Gleich daneben ist der Zucker. Was noch? Kerzen, Zündhölzchen, Zahnstocher? Aber ist ja alles da. Zigarren gefällig? Bitte, in jenem Magazin! Zu trinken vielleicht? Bier und dann etwas Wein. Nicht aus jenem Keller, da ist bloß Faßwein. Hier vielleicht. Asti Spumante, französischer Champagner, bitte nur wählen. Ein Schnäpschen zum Schluß? Hier, rote, grüne, gelbe, nur aussuchen!
Donnerwetter, was haben wir an jenem Abend geschlemmt! Wahrhastig, ich hatte einen ziemlichen Tuliö, als ich zu meinem Hotelzimmer emporstieg und mich in mein prächtiges, blühweiß überzogenes Bett schlafen legte. Uff! Welche Wonne, Soldat zu ..
und schon gaukeln die Weingeister hinüber in Morpheus' Reich.
Natürlich, ausgerechnet um 3 Uhr früh müssen sie einen wecken mit so einem blöden Abmarschbefehl.
Mit einem gräßlichen Fluch zünde ich Licht an und lese, was man haben will von mir.
Brummend ziehen wir am Morgen wieder die Straße gen Westen. Es regnet schon wieder, als ob der Himmel ein Loch hätte. Man freut sich, daß wenigstens durch den Stahlhelm nichts durch geht, und ist sonst unendlich wurstig.
Immer der Fella entlang geht's gen Resiutta. Wir wollen nach Moggio. Natürlich, die Fellabrücke bei Resiutta ist gesprengt, dieses selbst gerammelt voll mit einer deutschen Jägerdivision, die durchs Resiatal heruntergekommen ist. Nun können wir um ¬ kehren. Aber zuerst rasten wir, und in schäbige, halbzerschossene Häuser stopfen wir einstweilen die Mannschaft. Nicht viel besser kriechen wir Offiziere in der Nähe in einem ehemals hübschen Haus unter. Jetzt ist alles zerstört, die Einrichtung zerschlagen. Öfen natürlich gibt's keine. Ein paar Athleten versuchen ans dem Fußboden Feuer zu machen. Als der begreiflicherweise zu brennen anfängt, ist man sehr betrübt, findet aber bald große Blumentöpfe, und in denen wird nun geheizt, was die zertrümmerten Möbel an Holz hergeben wollen. Es raucht dabei so infernalisch, daß ich verzweifelt nach meiner Gasmaske greife. Aber die liegt da oben auf der Nevea, in jenem Unglückszimmer, wohl unter blutigen Fetzen.
ANNO Zeitungen, Kriegszeitung des A.T.V. Graz, 9. Februar 1918
Design by W3layouts