Wie Cyklamenduft und Alpenrosenhauch umweht es den Ankömmling beim ersten Anblick des Kalkalpenthales, den in die Ferne Zurückgekehrten bei der Erinnerung. Hier ist in der That vorhanden, was man während der Hochsommer= und Frühherbstmonate von den Alpen erwartet: Buchenschatten, helle Wasser, Cascaden, ein stahlgrüner See, gewaltige Hochgipfel mit Schneefeldern, und zu alledem eine Luft, die man in Behältern mit sich nach Hause schleppen möchte. Die beiden Wirthshäuser, insbesondere das Touristenhaus, sind gemüthliche und wohleingerichtete Herbergen. In einer Stunde wird der Schienenweg (Tarvis) erreicht. Jetzt, seit auf der italienischen Seite die Pontebba-Bahn eröffnet ist, wird eine kleine Rundreise erleichtert, welche bald unter den beliebtesten Ausflügen in unserer Älpenwelt genannt zu werden die beste Aussicht hat. Es ist dies der Weg Tarvis-Ponteba-Chiusa per Eisenbahn, alsdann zu Fuß durch das Raccolana-Thal (von John Ball in seinem „Alpine Guide“ als „grand and wild scenery“ bezeichnet) zum Raibler See und über Raibl hinaus nach Tarvis — ein Weg von anderthalb Tagen, von denen Chiusa-Raibl sechs Stunden Gehens verlangt. Es wird dieser Rundgaug zu einer jener „Gänsemarsch-Routen" werden, wie man deren auch in unseren Alpen, nicht nur im Berner Oberlande, bereits mehr als Eine findet. Von anderen Schönheiten, die in das Raibler Touristengebiet gehören, seien genannt: die Isonzo-Quellen jenseits Sotscha (Soca), der Mangart, die Nähe der venetianischen Städte — jetzt ein Ausflug von wenigen Stunden, die vom tannenumgrünten Höchste zu den Oelgärten von Gemona hinab bringen; alsdann die ge geheimnißvolle, heimnißvolle, geheimnißvolle, prächtige, noch so wenig beschriebene und aufgesuchte Welt der karnischen Alpen zwischen Pontafel, Paluzza bis Auronzo hinüber. Dort stehen die hohen, bleichen Dolomitgipfel, welche Gail, Tagliamento und Piave trennen, und grünen wundervolle Fichtenwälder, wie man sie wol noch unter bem Ernste italienischer Forstgefetz-Handhabung, aber nicht mehr ini Schlendrian der unsriaen findet. Es genüge, in dieser Hinsicht auf das uns gehörige Quellengebiet des Isonzo und auf das der beiden letztgenannten Flüsse vergleichend hinzuweisen. In allen unseren Alpenländern haben wir keine solchen Wälder mehr, wie in Val Buona bei Auronzo, den Bosco di San Marco oder die Forste zwischen Rigolato, dem Monte Coglians und Sappada. Wundervoll ist auch der Osten, die Bergwelt zwischen der Predilstraße, dem Triglav und der Wocheiner Save. Der Krn bei Karfreit wird bald wegen seiner Theilnehmuiig an Meeresaussicht den Dobratsch überflügeln. Manche von diesen Ausflüge» werden den Sommergast des Touristenhauses auf Tage von Raibl entführen; um so behaglicher wird er sich wieder in den bald liebgewonnenen Räumen fühlen. Das grüne Hochgebirgsthal von Raibl geht einer Zukunft gleich derjenigen der Ampezzaner Straße entgegen.
Touristenhause in den karnischen Alpen, Neue Freie Presse 31. Juli 1879
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