Noch ganz entzückt von der grossartig schönen Aussicht von Ober-Pret am Predil (960 m.) auf das tief im Thalkessel gelegene Pfarrdorf Unter-Pret ( 640 m.), die im saftigsten Grün prangenden Wiesen der Thalsohle, die bewaldeten Gehänge und die darüber hoch hinausragenden Spitzen und Grate der Mangart- und Jalouc-Gruppe, welche sich vom azurbladuen Himmel scharf abhoben, sass ich am frühen Morgen des 14. August v. J. bei prachtvollstem Wetter im Schatten des Forts, um im Geiste die eben gehabten Naturgenüsse nochmals durchzukosten. In einem Unterofficier der kleinen Besatzung, der für Naturschönheiten ein offenes Auge verrieth, und dem vermöge seines längeren Dortseins Berg und Thal nicht fremd geblieben waren, bekam ich einen angenehmen Gesellschafter. Wir plauderten zusammen, und wurde im Laufe des Gespräches selbstverständlich anch unseres Schattenspenders, des Forts und seiner Geschichte gedacht, auf deren Blättern die ruhmreiche Vertheidigung unter dem Hauptmann Hermann von Hermannsthal im Jahre 1809 mit goldenen Lettern verzeichnet steht. Dieselbe endets zwar unglücklich, weil die Uebermacht der gleichzeitig durch die Flitscher Klause und das Raccolana-Thal eingedrungenen Feinde Zu gross war - heute jedoch steht die Feste, gleich dem Phönix aus der Asche, mächtiger da, als zuvor. Die Erwähnung des Raccolana-Thales, von dem in Raibl, trotz seiner Nähe, Niemand gesprochen, machte in mir den Wunsch rege, es kennen zu lernen. Schnell entschlossen, verabschiedete ich mich von meinem liebens-würdigen Cicerone, machte en passant noch dem prächtigen Raibler See, aus dem sich die muntere Schlitza ergiesst, meine Anfwartung und befand mich bald wieder in meinem Quartier, dem Touristen-Wirthshause, um mich über die Tour zu informiren. Dies gelang mir jedoch nur sehr unvollkommen, denn man kannte das beregte Thal nur vom Hörensagen. Weit entfernt, die Partie deshalb aufzugeben, bestärkte mich vielmehr dieser Umstand in dem Vorsatze, sie jedenfalls auszuführen. Durfte ich doch erwarten, eines jener stillen und friedlichen Alpenthäler zu finden, welche von dem Strome der Touristen noch nicht durchfluthet werden und in ihrer Abgeschiedenheit gegen das ruhelose Treiben und Jagen in den en vogue stehenden Routen einen um so wohlthuenderen Contrast bilden. Und ich hatte mich nicht getäuscht. - Aber auch den Hochalpinisten ist da Gelegenheit zu dankbaren Touren gegeben. Monte Canino (2589 m.), M. Montasio (2767 m.), M. Boinc (2550 m.), M. Cimone (2396 m.)*) u.A.m. befinden sich in der nächsten Nähe and laden zur Besteigung ein. Auf dieses herrliche Thal die Aufmerksamkeit des geehrten Lesers zu lenken und in ihm womöglich die Lust zu erwecken, es früher oder später aufzusuchen, ist der Zweck dieser Zeilen. Glühend heiss sendete die Sonne ihre Strahlen nieder, als ich nach schwerer Trennung von den so verführerisch kühlen Räumen des vorbenannten Gasthofes in Raibl gegen 2 Uhr Nachmittags aufbrach. Das Ziel meiner Wanderung, Raccolana, ist circa 25 Kilometer von Baibl entfernt, und ich durfte daher keine Zeit verlieren, wenn ich es noch heute erreichen wollte. Die letzten Häuser des freundlichen Ortes waren bald passirt und ich betrat nun die das Thal durchschneidende Winterstrasse. Duftiger Nadelwald begrenzt dieselbe und steigt die Gehänge der Gebirge empor, welche das liebliche Hochthal umrahmen. Nach circa 20 Minuten, in der Nähe des Sees, zweigt sich die Strasse rechts ab und läuft nun hart am westlichen Ufer desselben fort. Der durchsichtig-smaragdgrüne See (990 m.) am Fusse des in seine Wasser abstürzenden Seekopfes (2110 m.) und, mit Ausnahme eines kleinen Fischerhäuschens, noch ohne jede menschliche Wohnstätte, ein prächtiges Stück Hochalpen - Landschaft, ist bald dem Blicke entschwunden. Der schmale Fahrweg führt weiter im Seebachthale, welches sich mehr und mehr verengt, durch Wald und über colossale Geröllfelder der Wildbäche bis zum Krumpachgraben. Links dominiren noch die Ausläufer des Seekopfes, dann folgne der ziemlich gleich hohe Schlichtel, die Spitze des Jalouc und die Kanzeln; recht schieben sich die Vorberge der Wischberg-Gruppe, deren Grate und Wände ab und zu sichtbar werden, in’s Thal hinein. Nun steigt der seltener benützte und deshalb schwer erkennbare Weg mässig empor, man passirt rechts die Sennhötten des M.Cregnedul und gelangt nach Ueberschreitung des Seebaches auf die Passhöhe (1191 m.), die Wasserscheide zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meere. Von da bietet sich ein prachtvoller Blick in das Seebachthal, welches vom König der Karnischen Alpen, dem einem stumpfen Kegel gleichenden Mangart (2678 m.), einen effectvollen Abschluss erhält. Ueber steinige, dürftig bevvaldete Triften (Karrenfelder) auf denen riesige Felsblöcke lagern, geht es nun sanft abwärts. - In kurzer Zeit sind die Hütten der Nevea-Alpe (1153 m.) erreicht, die links, etwas abseits vom Wege gelegen, sich schon auf italienischem Gebiete befinden.
Relativ hoch, flankirt vom mächtigen Kopf des Prestreljenik (2505 m.) und des Wischberges (2669 m.), mit prächtiger Aussicht anf die Gebirge des Raccolana-Thales, eignen sich diese Hütten vortrefflich zu einem dankbaren Ruhepunkt, der durch die Gelegenheit, sich nach 2 ½ - stündiger Wanderung durch den Genuss von Brod und Milch restaurieren zu können, entschieden an Werth gewinnt. Leider waren die Senner in der Wolle gefärbte Italiener, mit denen ich mich nur schwer zu verständigen vermochte. Von der Alpe steigt man über eine Art Felsentreppe, biela skala genannt, zu dem Rande einer grossartigen Felsschlucht herab, von dem sich ein hübscher Blick auf das Raccolana-Thal darbietet, welches, tief eingeschnitten, unmittelbar am Fusse derselben beginnt und ebenfalls die Westliche Richtung beibehält. Rechts führt ein gefahrloser Steig, der erst durch Absprengungen an der Felswand gewonnen wurde, in die Schlucht hinab und am rechten Ufer des Baches an den Abhängen der Gebirge in circa 1 Stunde nach Stretti, einer Häusergruppe (767 m.), und in einer weiteren, nach Ueberschreitung mehrerer Wildbäche, deren Aufzählung bei dem an Bächen ausserordentlich reichen Thale zu weit führen würde, nach Piaa di là (665 m.) und Pian di qua (641 m.), kleine, am grünen Bergabhange malerisch gelegene Weiler. Hier geht der Weg zur Thalsohle herab und vereinigt sich unterhalb eines prächtigen Wasserfalles mit der Fahrstrasse. Die Wildbäche folgen einander, massige Felsmauern begrenzen das Thal, es zeigen sich schon einige Culturen und man erreicht in circa 1 Stunde das Pfarrdorf Saletto (541 m.), in dem sich auch ein Wirthshaus befindet, das aber nur den allerbescheidensten Ansprüchen genügen soll. Die Lage des Dorfes, zwischen den mehr als 2000 Meter hohen Spitzen und oft senkrecht abfallenden Wänden des M. Cimone und M. Indrinizza ist reizend. Es dämmerte bereits, im Thale Iagerten schon blaue Schatten, während die Grate und Hörner der Gebirge von den Strahlen der Abendsonne tief golden gefärbt erschienen. Feierliche Ruhe war über die ganze Landschaft gebreitet, der sich auch die Menschen hingaben, welche vor den Thüren ihrer Häuser sassen und freundlich mein buona sera erwiderten. Vom Dorfe geht ein guter Fahrweg thalab, die himmelhohen Gebirge treten näher zusammen und bilden bei der den Fluss übersetzenden Ponte delle Lastre eine grossartige Klause, durch welche sich die Raccolana schäumend hindurchwindet. Die Strasse, für die erst durch Absprengungen an den Felswänden Raum geschaffen werden musste, folgt den Windungen des Flusses und geht nach kaum 10 Minuten wieder auf dessen linkes Ufer, due sie bis zur Mündung der Raccolana in die Fella auch nicht mehr verlässt. Auch dieser Theil des Thales wird von vielen Wildbächen belebt, die mit ihren Fällen und Cascaden immer neue, abwechslungsreiche Bilder schaffen.
Die Dämmerung war inzwischen vollständig hereingebrochen, unter dem Einflusse derselben begannen die Gegenstände abenteuerliche Formen anzunehmen und die Phantasie gewann freien Spielraum. Mutterseelenallein im wildromantischen Thale, das der Wolfsschlucht in C. M. Weber‘s berhümter Oper nicht unähnlich sah und für mich eine vollkommene terra incognita war, fühlte ich mich einigermassen unbehaglich und suchte deshalb so schnell es meine Füsse erlaubten, vorwärts zu kommen. Die Sterne flimmerten bereits am Firnament, und ein heller Schein über den Bergen verkündete den Aufgang des Mondes. Im geisterhaft fahlen Lichte desselben schienen die gewaltigen Bergriesen drohend ihre Häupter zu erheben über die Kühnheit des Fremdlings, ihre geheiligten Gebiete selhst zur Nachtzeit durch seine profane Gegenwart su entweihen. Mehr und mehr geht die Strasse bergab, da, bei einer Biegung derselben, wurde ich eines Gebäudes ansichtig, in dem ein Licht unruhig flackerte: der Capelle (424 m.) bei Raccolana. Hier offnet sich das Thal und die weissen Häuser von Raccolana. (401 m.) wie des vis-à-vis gelegenen Chiusaforte sahen freundlich grüssend zu mir empor. Die ganze Landschaft war vom zartgewobenenLichte des Mondes übergrossen, Raccolana und Fella, Silberbläden gleichend, vereinigten sich im Thale und gaben aus den dunklen Gehängen der Berge ein Bild hinreissenden Zaubers, das der ganzen Partie einen Würdigen Abschluss verlieh. Nun ging es schnell hinab, in wenigen Minuten war die Brücke über die Raccolana, der Ort selbst und die Brücke über die Fella passirt und wohlbehalten, aber müde und hungrig, betrat ich gegen ½ 10 Uhr den Speisesalon der Fratelli Pesamosca in Chiusaforte (Bahnstation), wo ich vortreffliche Aufnahme fand. Verpflegung und Unterkunft waren gleich gut, die Preise mässig. Ich kann dieses Gasthaus daher umsomehr empfehlen, als in demselben auch deutsch gesprochen wird. Die Besitzer desselben beabsichtigen, im nächsten Jahre ein Hôtel im Raccolana-Thale zu bauen. Damit würde einem dringenden Bedürfnisse abgeholfen werden und sich der Besuch des noch vernachlässigten, eine Fülle des Schönen und Interessanten bietenden Thales zweifellos heben.
Österreichische Touristenzeitung, 1884
ANNO/Österreichische Nationalbibliothek
  
Trattoria F.lli Martina
Albergo Martina
Anfahrt Anreise
Raibler Touristenhaus: 1879
Die Pontebbana-Bahn: 1880
Johannes Nordmann: Unterwegs, 1881
Von Raibl nach Raccolana, 1884
Alpenlager für Turner, 1885
Marburger Radfahrer, 1886
Eröffnung des Schutzhauses auf dem Monte Canin, 1886
Ein Schritt nach Italien, 1887
Beim Pesamosca zu Chiusaforte, 1888
Johan Siegel, 1903
Nevea: Neues Unterkunftshaus, 1909
Die Edelweiss Division, 1917
Internationales Autorennen Chiusaforte-Sella Nevea
Alpe-Adria Radweg
Fotos des Ortes
Webcam
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